Willi Hess - Dynamik des Bildraums
Goethe sagte einmal, "Die Kunst ist deshalb da, dass man sie sehe,
nicht davon spreche" Und er fügte noch hinzu: "als höchstens in Ihrer
Gegenwart."
Will man sich heue noch diese Maxime zu Herzen nehmen, so ist alles
Reden über Kunst sicher nur - und höchstens - die halbe Wahrheit. Eine
Wahrheit jenseits des Bildes kann es nur mit, niemals aber ohne den
Gegenstand selbst, den es zu erörtern gibt, geben. Es ist dies eine
Grundvoraus-setzung für den Kunstgenuss wie auch für eine intellektuelle
Anschauung an sich, die in der Bildenden Kunst bis heute nicht
ohne das Artefakt selbst auskommt. Jedes theoretische Erörtern erstirbt,
wenn nicht das Bild an sich die Fähigkeit zur "Bildentfaltung"
angesichts des Betrachtenden realisieren kann.
Willi Hess fordert mit seinen Bildwerken von seinem Betrachter fürs
erste gesehen wenig: setzt er ihn doch einer sehr offenen Bildform aus,
die als rein gestisch zu bezeichnen ist. Sie verpflichtet sich
weitgehend der internationalen Bewegung des "abstrakten Expressionismus"
(USA), des "tachisme" (Frankreich) oder auch des
"Informel" (Deutschland), die nach dem kulturellen Niedergang in der
Zeit nach 1945 wieder einen Aufbruch in die Moderne wagte und gegen die
ehemals normierten Bildformeln des Propaganda-Apparats den freien Impuls
des Spirituellen und des Gestischen setzte.
Egal welcher Couleur verpflichtet, konnten sie nicht anders als ihre
persönliche Revolte, ihr Bekenntnis an die humanitäre Freiheit, in einer
weitgehend formbefreiten Sprache auszudrücken. Das quasi Regellose wurde
zur alle einenden Losung, mal stärker dem Gestus der Farbe folgend
(siehe Fred Thieler oder Jean Miotte), mal stärker
die Linie betonend (Jackson Pollock), mal mehr das Konstruktive
herausarbeitend (Franz Kline), mal mehr rhythmische Dimensionen
aufgreifend (Gerhard Hoehme) usw.
Einer der Grundgedanken war das reine Kräftespiel zwischen Farbe,
Gestus und dem abstrakten Raum, der durch das Bild manifestiert - oder
zumindest ahnbar -
wurde.
Den großformatigen Werken der Amerikaner folgen zunächst fast noch
zaghaft kleinere Formate auf Seiten der Europäer, die sich erst nach und
nach dem Gedanken der monumentalen Bildtafeln näherten (z.B. Hoehme und
Miotte).
Für Willi Hess gelten nur einzelne Aspekte dieser Grundstimmung, die
in den frühen 50er Jahren ihren Ausgang nahm und bis heute tradiert und
verwandelt zugleich weiterlebt. Die Gemälde von Willi Hess sind -
verglichen zu den Informellen der 'ersten Stunde' kleinformatig und
beschränken sich nicht selten auf den kleinsten Raum.
Aber gerade die minimalen Dimensionen entfachen ein Feuerwerk an
Dynamik, an frecher Rhythmik und malerischer Unbekümmertheit. Es
scheint, als wollten sie auf kleinstem Raum die Bildbegrenzungen
sprengen und sich über die faktische Fläche hinaus ausbreiten.
Es ist dieses scheinbar lustvolle Schwelgen in Farbstimmungen, die Hess
leiten: Farben verschlingen sich ineinander, berühren und begegnen sich,
fesseln sich und spritzen wieder auseinander. Die Tonigkeit, die Hess
wählt, ist stimmig und dennoch manchmal geradezu kühn aufeinander
zugespitzt. Fast will es scheinen, als sei in dem gelegentlich spitzigen
Zueinander der Farben ein Missklang, eine schräge Tonart angeschlagen,
die zugleich aber auch etwas Markantes betont, die gestische Dynamik
scheinbar nochmals zu steigern hilft.
So entwickelt der Künstler im raschen Gestus eine Nomenklatur der
Befindlich-keiten, die wie ein Barometer auch über den Künstler selbst
etwas auszusagen vermögen, die ihn dem Betrachter nahe holen und mit den
eigenen Anschauungsgegebenheiten in Schwingungen versetzt. So ist es
auch ein - vielleicht besonders Verdienst der
abstrakt-gestischen Malerei, dass sie den Bildbetrachter zunächst einmal
weitgehend sich selbst überlässt und ihn nicht bevormundet.
Hier gibt es kein vorgewusstes Denken, keine "Denknorm", an die es sich
zu halten gilt. Das Bild "funktioniert" genau dann, wenn es beim
Betrachter etwas auslöst: sei es eine innere Schwingung, ein emotionaler
Gleichklang oder ein "Weiterdenken" über Raum und Zeit. Das Bild
"öffnet" das Tor zu einer anderen (Denk-)Struktur.
Die Bilder von Willi Hess lösen diesen "Bildsinn" ein, sind Spaziergänge
durch dynamisch-bewegte Kosmen, die einfach und komplex zugleich
erscheinen.
Und insofern hat Goethe auch heute noch unbedingt Recht, wenn er
vermerkt, dass das Bild nicht durch etwas Anderes ersetzbar ist, wenn es
um wirkliche Betrachtung geht..
Beate Reifenscheid
Leiterin des Museums Ludwig - Koblenz
|